Das Askland - mit Klauen und Fängen für das Rudel
  Runwart Ornson
 

Runen

Av fyre og jern – Von Feuer und Eisen

 

Runen, dessen richtiger Name Runwart Ornson lautet, stammt aus Isenheim von der Hoeger-Klov. Wie auch die vorangegangenen Generationen seiner Familie hat er ebenfalls das Handwerk der Schmiedekunst erlernt. Dieses und noch etwas anderes, da in seinen Adern kein rein hatoskisches Blut fließt.

Nachdem er und sein Bruder die grundlegendsten Dinge beiderlei Künste erlernt hatten und keiner es wagte, sie noch als Welpen zu bezeichnen, zogen sie aus in die Lande der Skraelinger, um jene Dinge zu lernen, welche sie daheim nicht vervollständigen konnten.

Dort traf Runen dann auf das Deggen von Hakon Halvorson oder wurde ihnen als Kundiger der fremden Lande zugeteilt. In diesem Punkt kommt es ganz auf die Person des Erzählers an...

 

 

 

Wie in der Zwillingsstadt üblich, stammt Runen aus einer eher kleinen Familie, mit einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder.

Nach der Geburt seiner Tochter Svea beschloss Orn, dass  sie die Tradition des Schmiedens weiterführen sollte. Zu seinem Leidwesen war Svea von eher schmächtiger Statur, und keinerlei Mastkur seitens des Vaters konnte dies bis zum heutigen Tage ändern.

Sie war zwar durchaus nicht ungeschickt, doch war sie für ein so kleines Kind sehr pingelig und mied die rußige, ölige Schmiede. Umso mehr war sie von dem begeistert, was ihre Mutter anfertigte, wenn diese im Verkaufsraum des Hauses gerade keine Kundschaft bediente. Dies ging von ledernen Messerscheiden über Pelzverzierungen und Polsterungen bis hin zum Nähen von Kleidung.

Trotzdem wollte Orn nicht einsehen, dass der Traditionsberuf der Familie aussterben sollte, und trieb seine Tochter daher immer wieder in die Werkstatt, darauf hoffend, ihr Interesse zu wecken.

Zum Glück für Svea brachte ihre Mutter in dem Jahr, welches das sechste für Svea war, einen Sohn zur Welt.

Selber froh darüber, nun nicht mehr alleine auf das Interesse seiner Tochter hoffen zu müssen, nannte Orn seinen Sohn Runwart, was soviel bedeutet wie „Wächter der Runen“. Runen selbst empfand und empfindet diesen Namen immer noch als zu traditionell und stellt sich in der Regel mit der Rufvariante seines Namens vor. Wenn er dies nicht tut, hat dies immer gewichtige Gründe und ist entweder ein Zeichen des Respekts oder des offenen Hasses.

 

Nur zehn Monde später erhielt Orn die Gelegenheit, erneut den Wolfsgöttern zu danken, denn sein drittes Kind wurde putzmunter geboren und Gorfang genannt.

Bei seiner Geburt fast doppelt so schwer wie einst seine Schwester und immerhin das anderthalbfache von seinem älteren Bruder wiegend, war Gorfang ein recht proprerer Welpe. Und der Grund, warum Orn im folgenden Jahr Tische, Stühle, Nudelhölzer, Äpfel und einmal sogar ein kleines Schwein an den Kopf geworfen bekam, nachdem er sich mehr als eine Wolfshöhe seiner Frau Maeve genähert hatte.

 

Die beiden Jungen gediehen prächtig und waren bald schon gleich auf in allen Dingen, während ihre Schwester Svea immer mehr ihrer Mutter im Verkauf und im Haushalt half.

Ebenso wurden Runwart und Gorfang ins Arbeitsleben eingebunden, sobald sie sicher stehen und gehen konnten.

Anders als bei ihrer Schwester, fanden die beiden Welpen die Schmiede mit dem knisternden Feuer, dem glühenden Stahl und dem ohrenbetäubenden Lärm des Schmiedehammers sofort interessant.

Mitunter der Grund, warum sie von ihrer Mutter und Svea mehr als einmal Schelte bekommen haben, wenn sie auf direktem Wege aus der Schmiede geflitzt zum Essenstisch kamen.

Anfangs konnten die Beiden zwar nur wenig helfen, doch all die Kleinigkeiten wie das Beobachten des Schmiedefeuers, das Herantragen von Kohle und Wasser haben ihre Körper gestärkt, und die Erläuterungen ihres Vaters ihren Geist geschult.

 

Vor allem wegen den spezielleren Aufträgen war dies von Wichtigkeit.

Denn in Orns Adern, ebenso wie in denen seines Großvaters Hamall, Runens und Gorfangs Urgroßvaters, fließt besonders starkes Blut, welches es Orn ermöglicht, seine Werkstücke mit der Kraft Idus zu erfüllen.

Orn selbst hat dieses Wissen erst spät von seinem eigenen Großvater vermittelt bekommen.

Seinem Vater Oleif, Hamalls Sohn, war diese Gabe leider völlig fern, auch wenn er ein ausgezeichneter Schmied war.

Daher hielt er auch seinen Sohn Orn von diesen Kräften, ja, selbst von Orns Großvater Hamall, fern.

Es ist bekannt, das Oleif mehr als Respekt, vielleicht sogar Furcht vor den unbekannten Kräften hatte, welche in seinem Sohn Orn schlummern könnten.

Aber auch wenn Orn niemals schlecht über seinen Vater sprechen würde, so quält ihn dennoch der Gedanke, dass sein Vater lediglich Angst davor hatte, dass er, sein Sohn, ihn übertrumpfen könnte.

Dadurch geprägt hat Orn für sich beschlossen, stets nur das beste von seinen Söhnen zu verlangen, mehr von ihnen zu fordern, als er selbst kann.

Dies lässt ihn manchmal unbeeindruckt von den Erfolgen seiner Söhne wirken, doch sollte man sich nicht in seinem Stolz irren.

 

Die erste Übung, welche die Kräfte des Blutes betraf, erhielten die beiden Welpen im Alter von zehn Wintern.

Während Orn in aller Ruhe eine kleine, zierliche Rune in einen Anhänger schmiedete, diese erhitze und ablöschte und auf vielerlei andere Art und Weise behandelte, stritten Gorfang und Runen wieder einmal, als ob sie sich gegenseitig den Kopf von den Schultern reißen wollten.

Was Gorfang durch seine Größe zum Vorteil gereichte, machte Runen mit List und Schnelligkeit wett, so dass eher Gelände, Tagesform und Motivation das Kampfende beeinflussten als wirkliche Überlegenheit.

Nachdem Orn sein Werk vollbrachte hatte, rief er seine Söhne zu sich, und ein jeder sollte eine Hand über den Anhänger aus dünnem Blech halten.

Mit einem kleinen Schnitt ließ ihr Vater einige Blutstropfen seiner Söhne in die eingravierten Vertiefungen tropfen.

Alle drei spürten die Veränderung, einen Moment lang hing eine beißende Hitze in der Luft, welche im nächsten Moment hinfort geweht war.

Er trug den beiden auf, ihrer Schwester das Amulett zu bringen und ihr zu sagen, das sie es biegen sollte, um Glück zu haben.

Beide rannten in das Haus, wo ihre Schwester gerade ihrer Mutter bei einem Verkaufsgespräch mit dem Waffenhändler Fleinn Ornson zusah, natürlich ohne verschiedenste Verunreinigungen von der Schmiede und vom vorhergegangenen Raufen zu entfernen.

Nach einigen misstrauischen Blicken seitens Sveas und einigen wilden Beteuerungen seitens der Brüder, knickte Svea den Anhänger leicht und die Gravur verzog sich. Gorfang und Runen spürten erneut die Hitze und ein Aufblitzen in den Augen ihrer Schwester, welche kurz darauf kreischend Tische, Stühle, einen Apfel und andere Dinge auf in Wurfreichweite befindliche Person warf. Interessanterweise kein kleines Schwein.

Im Nachhinein betrachtet hatte ihr Vater sogar Recht mit der Wirkung des Amuletts, auch wenn dies sicherlich nicht beabsichtigt war. Neben ihrer Familie und dem Waffenhändler Fleinn Ornson traf sie auch dessen Sohn Hamund. Am Kopf übrigens. Die Skraelinger würden es bedeutungsvoll finden, dass er gerade von dem Apfel getroffen wurde. Mir selber hätte ein kleines Schwein allerdings besser gefallen.

Dieser Vorfall war jedenfalls der Grund dafür, das sie und Hamund die nächsten zwei Jahre nicht ein Wort miteinander gesprochen haben, selbst als dieser später alleine zu uns kam, um Waren abzuholen. Was vermutlich der Grund war, warum sie sich dafür später umso eingehender füreinander interessiert haben.

Später erklärte Orn seinen Söhnen, dass er ihnen eine Rune mitgegeben hatte, welche das Blut einer Person zum Kochen bringen kann und diese in einen Kampfrausch versetzt, in dem sie keine Schmerzen spürt, allerdings auch kaum zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. Der Effekt kommt aus zwei Gründen zustande, einerseits durch die gravierte Rune selbst, welche zum Großteil die Kraft sowohl gefangen hält, als auch bei ihrer Entfesselung lenkt. Andererseits durch das Blut und die weiteren Zusätze, mit denen man der Rune Kraft gibt. Das Blut seiner zwei hitzköpfigen Söhne kam ihm also gerade Recht, und hat Svea nicht zum letztenmal zum Ziel des einen oder anderen Schabernacks bestimmt.

 

Zwei Jahre später kam für beide der Zeitpunkt ihrer Blodprov, der Prüfung, welche die Wende vom Kind zum Erwachsenen markiert.

Jeder der Brüder erhielt Brot und Wasser für einen Tag, zwei Werkzeuge seiner Wahl und drei Münzen aus Stahl, um mit diesen so weit wie möglich von der Zwillingsstadt entfernt den Sinn ihrer Blodprov zu finden.

Jeder wählte den Hammer als erstes Werkzeug, Gorfang nahm zusätzlich eine Spitzhacke mit, während Runwart sich für einen kleinen Dolch entschied.

Auch wenn es beide zu jenem Zeitpunkt gewollt hatten, so hätte keiner der beiden zugegeben, dass er am liebsten mit dem anderen zusammen aufgebrochen wäre.

Aber da die Brüder diese Möglichkeit eh ausschlossen, zog jeder für sich los, um seinen Weg zu finden.

Jeder fand erst einmal bei einem reisenden Händler Obdach.

Während Gorfangs Begleitung mit einem Packesel Richtung Daal unterwegs war, schloss Runen sich Gren dem Händler an, welcher mit seinem Wagen die Höfe zwischen der Zwillingsstadt und Orret anfuhr.

Gut kamen die zwei auf dem Wagen des Händlers voran und tauschten die Waren des Händlers gegen Nahrung und andere Dinge, wenn sie einen der entlegenen Höfe ansteuerten. Meistens blieben sie als Gast über Nacht, und Runen half bei Reparaturen aller Art, um seinen Teil zu leisten. Immer südlicher führte sie der Weg, bis sie eine Herberge erreichten.

Statt fröhlicher Stimmen war es düster im Gebäude, und die beiden verstauten erst ihren Wagen im Stall, um sich dann umzuschauen. Die Taverne war tatsächlich leer, aber nicht unbewohnt. Alles stand sauber und ordentlich weggeräumt an seinem Platz. Sie entzündeten Kerzen, konnten aber immer noch niemanden finden oder etwas Ungewöhnliches bemerken. Gerade als sie aus der Tür traten, um nach den Tieren zu sehen, kamen aus dem Wald zwei Gestalten auf sie zu.

Als sie näher kamen, war zu erkennen, dass es sich um einen etwas älteren Mann und einen Jungen handeln musste. Die beiden kamen näher und die feuchten Wangen und geröteten Augen des Jungen wurden sichtbar, welcher Runen um gut einen Kopf überragte. Der Mann schickte ihn mit einem sanften Druck in die Taverne hinein und ging dann zu den Gästen.

Runen und Gren stellten sich vor. Der Name des Mannes war Bjolfur und der Junge sein Sohn Einarr. Er lächelte zaghaft und erklärte, dass er und sein Sohn gerade das Blodelv samt Apning bei seiner Frau Katla vollzogen hätten und bat um Verzeihung, dass das Haus leer gewesen war.

Zögerlich folgten sie ihm ins Innere der Taverne und Bjolfur verschloss die Tür, da es schon dämmerte.

Sichtlich erleichtert wegen der Ablenkung machte er sich daran, eine einfache, aber gute Mahlzeit zuzubereiten und stellte sogar einen Krug Met auf den Tisch, bevor er sich in das zweite Geschoss begab. Den ganzen Abend und einen großen Teil der Nacht waren immer wieder Einarrs Schreie zu hören, so häufig, dass man lernte, zwischen Wut, Trauer und Angst als Grund zu unterscheiden.

Schweigsam aßen die beiden und stießen miteinander an in dieser beklommenen Atmosphäre. Für Runwart war es das erste Mal, dass er mehr als nur einen Schluck Met getrunken hatte. Die erheiternde Wirkung des Alkohols blieb freilich aus, doch wurden zumindest die Gedanken abgelenkt und die Erinnerungen ungreifbarer.

Es sollte das erste und einzige Mal sein, dass Runen mit seinem Reisegefährten die Krüge heben sollte. Keiner konnte wirklich Schlaf finden, und so waren alle am nächsten Morgen früh wach.

Während Gren den Wagen belud und einige kleinere Tauschgeschäfte mit Bjolfur tätigte, gesellte sich Runen schweigend zu Einarr, der etwas abseits vom Haus auf der niedrigen Mauer eines Gemüsebeets saß und ein kleines Büchlein in Händen hielt, über das er unablässig streichelte.

Gute fünfzehn Augenblicke saßen beide schweigend neben einander, bevor Einarr erklärte, dass dies das Kräuterbuch seiner Mutter gewesen sei und es nun völlig nutzlos wäre. Mehr als ein Runmerer hätte versucht, ihm das Lesen beizubringen, ohne das Idu ihm gnädig gewesen wäre. Auf Runens Bitte gab Einarr zögerlich das Buch aus der Hand, und Runwart blätterte andächtig über die Seiten. Auf einer Seite hielt er inne und murmelte leise den Namen Gyrrwurz. Fasziniert schaute Einarr auf die ihm unerklärlichen Zeichen, und der feuchte Schimmer legte sich erneut um seine Augen.

Runen griff hinter sich, brach einen kleinen Ast ab und zog seinen Dolch. Mit wenigen Schnitten hatte er den Stock angespitzt und legte ihn auf die Seiten des Buches, welches er auf seinen Knien hielt. Ein kurzer Schnitt genügte, und einige Blutstropfen quollen aus seinem linken Unterarm. Er legte den Dolch beiseite, um den Stock zu greifen. Mit ein wenig Mühe fing er an, eine Gyrrwurz neben das zugehörige Wort zu zeichnen, und trocknete die blutige Zeichnung schließlich mit seinem Atem.

Andächtig nahm Einarr das Buch wieder entgegen. Runen steckte den Dolch wieder in die Scheide und leckte das Blut von seinem Arm.

Er nickte Einarr zu und legte ihm kurz den Arm um die Schulter, bevor er aufstand und zu Gren ging.

Während Einarr immer noch voll aufgewühlter Erinnerungen auf das Buch und die Zeichnung starrte, wühlte sich Runen durch die Taschen des Händlers und fand schließlich, was er suchte. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht legte er ein kleines Fläschchen voller Tinte und eine Vogelfeder in das Fenster neben der Tavernentür.

Als Gren und Runen davonfuhren, saß Einarr immer noch auf der niedrigen Mauer und starrte in das Buch.

 

Den größten Teil des Tages verbrachten die beiden schweigend, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Dementsprechend kurz fiel die Rast zur Mittagsstunde aus, was aber eher von Vorteil war. Lediglich zwei kleinere Höfe wollte Gren ansteuern, bis er Orret erreichen würde, daher war er recht zufrieden, eine gute Reisegeschwindigkeit einzuhalten.

Auch als die Abenddämmerung angebrochen war, reiste das Gespann weiter. Der Wagen kam auf der Straße gut voran, und daher wollte Gren solange fahren, bis sie eine günstige Stelle zum Übernachten gefunden hätten.

Über den Baumkronen sah man das Osfyr Gebirge, der ihnen nächste Berg war der Gry. Man sah den mächtigen Fuß des Berges, wie er im Dunst des Osfyrs emporwuchs und in diesem verschwand. Man glaubte, dass man jeden Moment die Bergspitze sehen müsste, aber dies geschah nie. Bedrohlich leuchtete die Nebel- und Staubwand, welche den Gry umgibt, in der Farbe glühenden Eisens auf. Während Runen andächtig das Schauspiel beobachtete, erklärte Gren, dass der Osfyr, welcher der kleinste Berg in dem Gebirgszug ist, Feuer und flüssiges Gestein speie, wenn die Kämpfe in der alten Welt ein weiteres mal zu einem Blutbad würden.

Wind zog auf und brachte immer wieder Geräuschfetzen vom Gebirge herüber, so dass sich den Gefährten die Nackenhaare aufstellten.

Endlich fand Gren eine häufig befahrene Lichtung wieder, auf der er selbst mehr als einmal genächtigt hatte, und lenkte den Wagen von der Straße dorthin.

Während er abstieg und das Pferd von seinem Geschirr befreite, um es anzubinden, verschwand Runwart im Wagen, griff dort den Hammer und band ihn zu dem Dolch am Gürtel, welchen er seit dem Aufbruch von der Taverne bei sich trug. Dann griff er einen gefüllten Wasserschlauch und einen Laib Brot, griff an seinen Gürtel und holte zwei der Stahlmünzen hervor. Die dritte hatte er unterwegs gegen Brot und frisch gebratenes Fleisch für Gren und ihn eingetauscht. Er ließ die Münzen durch seine Hand gleiten und legte eine von ihnen in das Fach, wo Gren seine Schreibwaren verstaute. Die letzte der Münzen verschwand wieder in einem kleinen Beutel an seinem Gürtel.

Runen kletterte vom Wagen und sah, wie Gren gerade dem Pferd etwas zusätzliches Futter gab. Er ging einige Schritte vom Wagen weg, ohne Gren aus den Augen zu lassen. Dieser streichelte das Pferd und hob dann den Arm, winkte und machte dann lachend eine wegwerfende Handbewegung, bevor seine Hand erneut das Pferd streichelte.

Runwart rannte in den Wald, ebenso wie Gren wollte er sich nicht umdrehen. Er lief, so schnell er konnte. Da die Dämmerung aber stetig der Dunkelheit wich, fiel er irgendwann über eine hoch stehende Baumwurzel und landete der Länge nach auf dem Boden.

Wütend schlug er auf Boden und Wurzel ein, bis die ersten Abschürfungen aufplatzten, als er aus weiter Ferne einen Ruf hörte:  „De Ulfgodderen verge deg!“

Sofort war der Zorn verflogen, lediglich ein Grinsen im Gesicht und der dumpf pochende Schmerz an Händen und Knien blieb. Runwart rappelte sich auf und antwortete, so laut es seine Stimme zuließ: „De Ulfgodderen verge deg!“

Dann setzte er seinen Weg fort. Selbst im dunklen Wald konnte man den Osfyr leuchten sehen, den Berg, der Feuer und Stahl spuckt, sein Ziel.

 

 

 

Ruhigen Schrittes erklomm Runwart den letzten Hügel und blickte zurück. Selbst an diesem eigentlich sonnigen Mittag war vom Gry nicht viel zu erkennen, da am Tag das rote Glühen nicht mehr deutlich zu sehen ist, sondern bis zum Einbruch der Nacht tief unter dem Berg schlummert. Vom Hügel aus konnte Runen einen kleinen Bach entdecken, welcher einige hundert Wolfslängen vor ihm die Straße schnitt. Immer noch nachdenklich folgte er dem Weg und trank einige Schlucke frischen Wassers, füllte seinen Wasserschlauch. Aß den letzten Bissen vom Brot und säuberte Hammer und Dolch von Schlacke, Staub und Dreck. Und zwar nur das Werkzeug. Seine Kleidung und Haut, welche ähnlich aussahen wie die Färbung, die der Fluss durch das Säubern der Werkzeuge angenommen hatte, beließ er so.

Während er der Straße folgte, hielt er seinen Blick auf den Boden gerichtet. Nach einiger Zeit blieb er stehen und hob einen Stein auf, drehte ihn prüfend in den Händen und lächelte dann zufrieden. Den Dolch schärfend folgte er weiter der Straße, bis er gegen Abend auf eine alte Feuerstelle stieß. Gren und er waren... Eigentlich musste es am Mittag des vorangegangenen Tages gewesen sein, dass sie an dieser Lagerstelle vorbeifuhren. Gren war ehrgeizig und wollte es noch bis zur nächsten passenden Stelle schaffen.

Aber Runen war langsamer unterwegs. Er würde bestimmt noch einen weiteren Tag brauchen, um zu der Taverne zu kommen. Immer noch darüber grübelnd, wie lange er nun wirklich im Osfyrgebirge gewesen war, ob Gren immer noch auf dem Weg ’gen Orret war oder sogar auf dem Rückweg, fing Runen an, mit dem geschärften Dolch zu schnitzen. Essen hatte er nicht mehr und musste sich ohnehin die letzten Augenblicke im Licht der Dämmerung vertreiben.

Irgendwann meldeten sich seine Hände zu Wort und Runen blickte gedankenverloren auf das, was er dort geschnitzt hatte. Er hielt ein kleines Holzschwein in Händen, unter jedem Huf zwei Runen eingeschnitzt. Angefangen mit V und D, I und O, D und L, sowie D und K.

Wortlos formten seine Lippen das Wort, welches die Runen bildeten, und er stellte das kleine Holzschwein neben sich auf den Boden, grinste dann und rollte sich zum Schlafen zusammen.

 

Am nächsten Tag marschierte Runwart zügig, vom Hunger getrieben, weiter, um möglichst schnell und vor allem vor der Abenddämmerung die Taverne zu erreichen.

Mit seinem Unterfangen erfolgreich, aber dennoch nervös, schritt Runen den Weg zur Taverne entlang. Noch gute zwei-, dreihundert Wolfshöhen von dem Gebäude entfernt, sah er, wie Einarr gerade aus dem Stall kam, in dem einige Pferde und Esel und davor die zugehörigen Wagen standen. Runwart hob die Hand zum Gruß. Einarr erwiderte diesen, aber nachdem er den anderen Jungen erkannt hatte, lief Einarr auf ihn zu und überfiel ihn schon von weitem mit Fragen: Ob Gren nachkomme, wo dieser sei, ob die beiden sich unterwegs verloren hätten. Ob Runen sich verlaufen hätte, Hunger habe, und natürlich dass er ihm sein Buch zeigen müsse. Ganz leise wurde Einarrs Stimme, als er ihm verriet, dass Bjolfur meinte, dass Idu noch nicht alle Hoffnungen bezüglich seiner verloren hätte, wenn ihm Tranq sogar ein kleines Geschenk vorbeibringen sollte...

Beide betraten den Schankraum, und auch Bjolfur begrüßte den neueingetroffenen Gast herzlich. Es waren neben Einarr, Bjolfur und ihm selbst noch drei weitere Männer und zwei Frauen in der Schankstube anwesend.

Zuerst setzten sich Einarr und Runen etwas abseits hin. Bjolfur brachte den Welpen warmen Eintopf und Tee, welcher vor allem Runwarts Knochen aufwärmte.

Stolz zeigte Einarr sein kleines Buch, in das nun zahlreiche Pflanzen und Symbole gezeichnet waren. Er erzählte von den verschiedenen Rezepten, die er schon kannte, und welche Wirkung diese hätten, während Runen sich etwas langsamer über den zweiten Teller hermachte.

Nach einer ganzen Weile ging Runen zu Bjolfur hinüber und redete leise mit ihm, griff dann an seinen Gürtel und gab ihm die letzte der drei Stahlmünzen.

Dann ging er wieder zu Einarr, und die beiden Welpen setzten sich mit einem „Ulfgodderen hilsen“ zu den Händlern, während Bjolfur einen gefüllten Bierkrug für jeden, sich und Einarr eingeschlossen, zum Tisch trug.

Den restlichen Abend hörten sie den Geschichten und Erzählungen der anderen Gäste zu, während sie in aller Ruhe ihr Bier tranken.

Es stellte sich heraus, dass vier der Gäste auf dem Weg von der Zwillingsstadt nach Orret waren, um dort als Schiffsbauer zu arbeiten. Etwas, das mit einigen Diskussionen zum Thema Skraelinger sowie einer Geschichte über die Seolfs von Seiten Bjolfurs bedacht wurde.

Der letzte Gast war wohl ein reisender Händler wie Gren und auf dem Weg zur Zwillingsstadt. Gegen ein wenig Gesellschaft auf dem letzten Wegstück hatte er nichts einzuwenden, so dass sich Runwarts Rückreise erheblich verkürzte.

Am frühen Morgen wurde er von Einarr geweckt, da der Händler zeitig aufbrechen wollte, um möglichst gut voran zukommen. Einarr und Bjolfur verabschiedeten sich herzhaft von Runen und gaben ihm und dem Händler sogar etwas Proviant mit auf dem Weg, während Runen Einarr das kleine Holzschwein überließ. Dann traten sie den letzten Abschnitt ihrer Reise an.

 

Am frühen Nachmittag verabschiedeten sich der Händler und Runen, welcher sich auf den Weg zu seiner Blodkin machte.

Als erstes sah er seinen Bruder Gorfang vorm Haus, der mit einigen Nachbarn redete. Die Brüder begrüßten sich herzlich, was nicht ungewöhnlich war, aber auch friedlich, was für mehr als hochschnellende Augenbrauen sorgte.

Gorfang erzählte, dass er in der Nacht zum vorangegangenen Tage angekommen sei.

Von den Stimmen der Brüder angelockt, wurde Runen dann auch vom Rest der Familie begrüßt und ausgefragt, bis Orn seine beiden Söhne schließlich an den Schultern packte und zur Schmiede führte.

Orn musterte zuerst Gorfang, welcher ihm daraufhin einen Anhänger gab, den er bis dahin unter der Tunika verborgen hatte. An einer stabilen Lederschnur war einer der Blodstins, der Blutsteine Daals, befestigt.

Dann schaute Orn seinen Erstgeborenen an. Runen überlegte kurz und streckte Orn dann den Dolch entgegen. In der Klinge war, nahe des Griffs, eine kreisförmige Vertiefung. Im Schein des Feuers glänzte der Rand anders als die übrige Klinge, und das Glänzen verlief von dem Kreis aus in einer gewundenen Linie bis zur Spitze des Dolches. Im Feuer glänzte die feine Ader von Hatostjel, welche im Dolch verarbeitet war. Orn hielt den Dolch und den Stein über das Feuer und sprach ein Dankgebet an Hato, während er den Stein in die Vertiefung drückte. Als er den Dolch seinen Söhnen danach zeigte, saß der Stein perfekt eingefasst im Dolch und schien nur herauszulösen zu sein, indem man ihn zerstörte.

Alle drei gingen in die Wohnstube, wo Orn den Dolch an einer Halterung an einem der Balken befestigte, so dass er immer in der Nähe der Familie war.

Wie es sich für eine bestandene Blodprov gehört, wurde den Rest des Tages und den Rest der Nacht gefeiert. Alle Verwandten und Freunde wurden für den Abend eingeladen und mehrere Fässer Bier geöffnet, frisches Brot gebacken und ein kleines Schwein geschlachtet, um zu trinken und zu essen, bis sich jeder nur noch zurück in seine gemütliche Höhle wünschte. Was beinahe die Hälfte der Gäste auch geschafft hat, wie sie erzählten.

In den folgenden Tagen redeten Gorfang und Runen viel über das, was sie erlebt hatten, doch beide schienen einen Punkt zu haben, an dem sie nicht weiter erzählen konnten, und dem jeweils anderen nur einen vielsagenden Blick schenkten.

 

 

 

 
   
 
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