Das Askland - mit Klauen und Fängen für das Rudel
  Bjorgrimm Asrickson
 

Bjorgrimm Asrickson

 

Es begab sich zur Schneeschmelze, dass der Welpe geboren werden wollte, und so machten sich sein Vater Asrick und seine Mutter Svana auf den Weg zur Ältesten des Dorfes. Sie hatte schon Dutzenden Welpen auf die Welt geholfen und lebte auf einem etwas abgelegenen Hof am Fluss.

Die Nacht war kalt und der aufgeweichte Boden tückisch. Abgelenkt von den Schmerzen Svanas, bemerkten sie die säugende Bache zu spät, welche sie gestört hatten. Der Ansturm kam zu schnell, als dass Asrick hätte eingreifen können. Die Wildsau traf Svana und ließ sie unbeholfen in den Morast stürzen. Ein heller Aufschrei entwich ihrer Kehle. Schäumend vor Wut warf sich Asrick auf die Bache. Doch ohne Waffen konnte er sie höchstens vertreiben, da er jedoch dem Wutrausch Geros verfallen war, kümmerte ihn dies nicht. In einem Knäuel aus Schlamm, Zähnen, Fell und Blut rollten die beiden auf einen Abhang zu. Das letzte, was Svana von ihrem Mann hörte, war ein hasserfüllter Todesschrei.

Tyra, die Base Asricks, welche glücklicherweise ebenfalls auf dem Weg zum Dorf war, da sie unter Geros Auge Kräuter für ihre Tränke suchte, eilte, angelockt durch den Lärm, herbei. Sie fand Bjorgrimms Mutter verdreckt und entsetzt im Schlamm liegend. Da Blut aus ihrem Kleid floss, wusste sie, dass Svana es nicht mehr bis zur Siedlung schaffen würde, und sie beschlossen, den Welpen im Wald zu gebären. Die Geburt war schwer, es war kalt und keine der beiden hatte bisher selbst ein Kind ausgetragen. Svana verlor viel Blut, und auch die begabte Heilerin Tyra konnte die Blutung nicht stillen. Als der Welpe letzten Endes doch in Svanas Armen lag, in der Kälte dampfend vom warmen Blut der Mutter, welche wusste, dass ihr Lebenslicht erlosch, beschlossen beide zu deren und des tapferen Vaters Ehren, die Erste Prüfung sofort zu vollziehen. Und so wurde der Welpe beschienen von Geros Auge in den kristallklaren Fluss getaucht, er schrie nicht einmal. Das Neugeborene wurde wieder in die Arme seiner Mutter gelegt, wo sie ihm noch einen Kuss auf die Stirn hauchte. Dann ging sie in die Alte Welt.

Tyra brachte den neugeborenen Waisen zu seiner Großmutter Vedis, zusammen mit der grausamen Kunde. Dort wuchs der junge Aske auf, bis er elf Winter alt war. Zu diesem Zeitpunkt erfuhr er, wie er Waise geworden war. Rasend vor Zorn auf sich selbst griff er sich seines Großvaters Speer und rannte in den Wald. Hatte er doch schon immer seine Eltern vermisst, so glaubte er nun auch noch, dass er es war, der die Schuld an ihrem Tod trug.

Tage später fand man ihn schlafend auf den Kadavern von drei Wildschweinen. Seine blutverkrusteten Hände krallten sich immer noch um den abgebrochenen Speer und in die Kehle eines seiner Opfer. Sein rotverschmiertes Gesicht umspielte ein Lächeln. Daraufhin gaben ihn Vedis und sein Großvater Harja in die Ausbildung eines erfahrenen Geroten namens Halgavar. Zehn Winter blieb Bjorgrimm dort. Er erlernte das Jagen, Kämpfen und alles weitere, was sein Bondvar ihm beibringen konnte. Doch seinen Schmerz überwand er hier nicht. Doch als er nahezu einundzwanzig Jahreswechsel gesehen hatte, schickte ihn Halgavar fort. Er war alt und konnte mit dem jungen Bjorgrimm nicht mehr Schritt halten. Er hatte mit Vedis und Harja beschlossen, dass der junge Gerote seine Bondprov bei Tyra ablegen sollte. Sie hofften, durch diese symbolische Geste würde er einsehen, dass nicht er der Mörder seiner Eltern war, denn oft genug trieben seine Gedanken ihn in einen Blutrausch, welcher nur schwer zu stoppen war. Tyra, selber ein Hitzkopf, konnte ihn vielleicht halten. Sie hätten viel gemeinsam, sagte Großmutter Vedis immer. Und so verließ der junge Wolf das Askland, um seine Amme zu finden und seine Ausbildung zu vollenden.

Tyra war über alle Maßen bis tief in ihr Innerstes entsetzt.

Nachdem das Leben aus Svanas Augen gewichen war, hatte sie ihre Stirn geküsst, auf der immer noch der kalte Schweiß stand. Dann hatte sie ihre Adern geöffnet, wie es üblich war, und mit erstickter Stimme die traditionellen Worte gesprochen.

Jetzt saß sie, gegen einen Baumstumpf gelehnt, neben der Leiche und wartete darauf, dass der letzte Tropfen Blut der jungen Frau in die Alte Welt sickerte.

 

Sie drückte das Bündel, in das sie das Neugeborene gewickelt hatten, an sich, damit der Säugling nicht anfing zu frieren. Unbewusst schlug sie aber dann Teile der Decke zurück und fing an, das Kleine zu untersuchen, wie es eigentlich der Mutter zugekommen wäre. Die Ohren waren vollständig, fünf Fingerchen an jeder kleinen Hand, fünf Zehen an jedem Füßchen. Der Junge reagierte ordnungsgemäß, wenn sie ihn stupfte, und er atmete einwandfrei. Sein Haar war feuerrot… der Vater hatte dunkle Locken, die Mutter war flachsblond, sie hatte davon gehört, dass diese Mischung zu solchen Ergebnissen führen konnte. Doch alles, woran sie in diesem Moment denken konnte, war das Blut seiner Eltern…

Einige Augenblicke lang liefen ihr die Tränen übers Gesicht, dann nahm sie sich zusammen und brach auf. Sie konnte die Nacht nicht hier in der Kälte verbringen, also musste sie den Weg Svanas fortsetzen, der so jäh unterbrochen worden war. Sie würde die Iduske aufsuchen, zu der ihr Vetter seine Frau hatte bringen wollen, um ihr bei der Geburt zu helfen, um dort zu übernachten. Am nächsten Tag würde sie einen Suchtrupp organisieren, um auch Asrick zu suchen und beide Körper zu bestatten. Dann würde sie den Jungen zu seinen Großeltern bringen… sie schluckte hart. Vedis und Harja würden ebenso entsetzt sein wie sie. Sie durfte nicht vergessen, jemand nach Svartaskheim zu schicken, um ihren Eltern ausrichten zu lassen, dass sie sich keine Sorgen machen brauchten… zumindest um sie nicht.

 

Nach einer knappen Stunde erreichte sie das Haus, in dem Vigdis Myrunsdottir lebte. Ein kleines Licht brannte im Fenster, und Rauch stieg aus dem Rauchfang auf. Natürlich hatte die Iduske die werdende Mutter erwartet. Stattdessen klopfte nun Tyra an ihre Tür.

Nur wenige Momente später wurde die Tür schwungvoll geöffnet. Tyra wusste selbst, dass man in solchen Nächten immer mit einem wachen Ohr schlief. Eine kleine, grauhaarige Frau, die einen dicken Wollschal um ihre Schultern zog, stand ihr gegenüber. „Komm… rein…“ schmetterte sie, doch ihre Munterkeit verebbte, als sie erfasste, dass nicht Svana vor ihr stand.

„Tyra… was tust Du hier? Um diese Zeit?“

Mit versteinertem Gesicht trat diese an ihr vorbei in die Stube, das Neugeborene hielt sie unter ihrem dicken Mantel an sich gedrückt. Vigdis schloss die Tür und inspizierte die junge Frau, man konnte ihr anmerken, wie beunruhigt sie war. Tyra war immer noch nicht fähig, etwas zu sagen.

„Kind, wie siehst Du aus? Was, bei Gero, ist passiert?“

Tyra stand nur da und fuhr sich kurz durch ihr blut- und schmutzverschmiertes Gesicht. Dann schlug sie wortlos ihren Mantel zurück. Beim Anblick des Neugeborenen sog Vigdis scharf die Luft ein. „Forbannet! Was ist geschehen?“.

 

Endlich begann Tyra zu schluchzen. Die alte Iduske nahm sie in den Arm und tätschelte ihren Rücken. „Komm, setz Dich, erzähl mir, was passiert ist. Ich nehme an, dass Du, was auch immer es ist, schon richtig gehandhabt hast. Aber sprich…“

Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, erzählte Tyra Vigdis, was sich zugetragen hatte. Sie nickte, hielt ihre Hand und deckte sie dann später zu. Das Kind legte sie ihr wie selbstverständlich in den Arm. Dann bewachte sie ihren traumgeplagten Schlaf.

 

Am nächsten Tag war Tyra wieder ganz sie selbst. Sie organisierte die Suche nach Asricks Körper und versah auch sein Blodelv. Dann brachten sie die Leichen des Paares an die Stelle, wo die Toten des Ortes in die Erde versenkt wurden, und erwiesen ihnen alle Ehren. Dabei gab sie den Jungen, der in Geros Antlitz den Namen Bjorgrimm erhalten hatte, nicht für einen Augenblick aus der Hand.

In Asricks Oberschenkel steckte noch einer der recht groß geratenen Hauer des Wildschweins. Kein Wunder, dass das Biest seinen Wurf so zu verteidigen gesucht hatte… es war so alt gewesen, dass es vermutlich sein letzter gewesen wäre. Tyra seufzte tief und, einem Impuls folgend, den nur Tranq gesandt haben konnte, zog sie das Ding heraus und steckte es ein. Es war noch verschmiert vom Blut vermutlich beider Asken.

 

Nach einer weiteren Nacht im Hause von Vigdis brach sie auf Richtung …, wo die Eltern von Asrick lebten, Vedis, die Schwester ihrer Großmutter väterlicherseits, mit ihrem Mann Harja. Bei ihnen würde der Junge gut aufgehoben sein. Blut musste zu Blut. Dennoch ging ihr etwas nicht aus dem Kopf.

Sie verbrachte drei Tage dort, bis sie sich wieder losreißen konnte. Der Schock des Todes ihres Sohnes traf Vedis und Harja hart, dennoch schlossen sie den kleinen Jungen, den Tyra ihrer Großtante in die Arme legte, sofort in ihr Herz. Die Zuneigung war ihren Augen anzusehen.

Als dann der Tag des Abschieds gekommen war, nahm Tyra den kleinen Bjorgrimm nochmals aus seiner Wiege, hob ihn hoch und drückte ihn an sich. Wohlwissend, dass er ohnehin nur ihren Tonfall und ihren Geruch wahrnehmen würde, flüsterte sie ihm ins Ohr:

„Ich werde Dich vermissen, kleiner Wolf. Spätestens zur Sommersonnenwende sehen wir uns wieder, wenn Frego die längste Zeit des Tages wieder an seinen Bruder Gero abgibt… Dir wird es hier gut gehen. Die Götter werden Dich schützen.“

Sie hängte ihm noch ein kleines Amulett um, ein Anhänger mit einem Wolfskopf, das sie selbst getragen hatte, seit sie ein Kind war. Dann verabschiedete sie sich mit dem traditionellen Händedruck von Harja: „Möge das Blut auf Deiner Klinge niemals trocknen, Oheim. Und achte gut auf unsern Kleinen. Er wird es oft nicht leicht haben… und erzählt ihm nicht zu früh, wie er ins Leben kam. Er wird zeitig genug Fragen stellen…“. Sie umarmte Vedis, die ihre Gefühle nur schwer verbergen konnte. Einem weiteren, starken Impuls folgend fügte sie hinzu: „Schickt ihn mir, wenn es soweit ist. Ich… ich hatte einen eigenartigen Traum, gleich nachdem er geboren wurde. Es kann sein, dass ich weit weg sein werde, wenn die Zeit gekommen ist. Aber ich werde mich dann um ihn kümmern. Auch mein Blut fließt in seinen Adern, und ich habe ihm auf diese Welt geholfen. Das erschafft ein Band zwischen uns, das kein Mensch zu trennen vermag. Er wird mich eines Tages brauchen, und ich werde für ihn da sein. Er schreit gelegentlich vor Wut… wenn er das tut, geschieht es aus Trauer und Schmerz. Tröstet ihn dann, auch wenn es oft schwerfallen wird.“.

 

Nach einigen weiteren Umarmungen verließ sie ihre Verwandten, um mehrere Tage später wieder zu Hause in Svartaskheim einzutreffen. Sie rief ihre Familie zusammen, um allen von den Geschehnissen zu berichten. Ihr Vater legte ihr schweigend die Hand auf die Schulter, als sie geendet hatte. Ihre Mutter verschwand mit den Worten „Jetzt bekommst Du erstmal was Warmes!“ Richtung Herd. Derweil drückte sie Brynjar das kleine Päckchen in die Hand, das sie in ihrer Tasche verstaut hatte. Er nahm es in die Hand und schloss unwillkürlich für einen Moment fest die Augen. Tyra sah eine Gänsehaut seinen Arm hinaufkriechen. „Forbannet…“ flüsterte er. Sich räuspernd fügte er hinzu: „Du wirst es wiederbekommen, wenn Du es brauchst. Der arme Junge… hoffentlich wird sein Wille stärker sein als seine Wut. Oder Deiner… Eure Schicksale sind definitiv verknüpft, zumal Gero auch auf die Stunde Deiner Geburt blickte.“.


Bjorgrimms Reise in die Außenwelt

 

 

Es war eine trübe, regnerische Nacht, als Bjorgrimm in Svartaskheim eintraf. Er orientierte sich kurz und fand das Haus, in dem Brynjar und Sunna mit Mitgliedern ihrer Blodkin lebten. Seiner Blodkin. Ein eigenartiges Gefühl durchfloss ihn bei diesem Gedanken. Er schüttelte es ab.

 

Er klopfte an die Vordertür, laut und vernehmlich. Nochmal. Und nochmal. Dann hörte er ein leises Fluchen, danach das Geräusch eines Riegels, der aufgezogen wurde. „Was zum…!“ waren die Worte des grauhaarigen Mannes mit der Kerze in der Hand, der ihm gegenüberstand. Kompakt gebaut, graues Haar, eine Hose und eine lose übergeworfene Tunika hatte er an. Im Licht der Kerze musterten sie sich, dann griff der Mann in das dichte, rote Haar des Welpen. „Du bist groß geworden, Bjorgrimm Asrickson.“ stellte Brynjar fest. „Komm rein, komm rein, wir müssen ja nicht das ganze Haus aufwecken!“.

Bjorgrimm wurde durch eine Diele in ein Studierzimmer komplimentiert. Hinter der massivhölzernen Tür herrschte auf einem Schreibtisch ein Durcheinander verschiedener Bücher, Schriftrollen und handschriftlicher Notizen auf losen Blättern. Er erkannte die Zeichnung eines Terroks, an der sich Markierungen befanden, die er nicht deuten konnte. Arme Viecher.

Brynjar erschien wieder durch eine weitere Tür im hinteren Bereich und brachte zwei dampfende Becher mit. Es roch nach heißem Met. „Setz Dich, Junge.“. Damit stellte er einen der Becher vor Bjorgrimm und setzte sich ihm gegenüber an einen kleineren Tisch.

 

„Danke, Brynjar. Es freut mich, Dich wohlauf zu sehen, es ist viel zu lange her. Hoffentlich geht es auch sonst allen gut.“

„Du weißt doch, was alte Leute immer sagen. Aber ich kann mich nicht beklagen. Auch sonst sind alle wohlauf, die, die hier sind, und die, die nicht hier sind auch. Aber erzähl mir, was Dich herführt. Bei diesem Wetter und mitten in der Nacht.“

„Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich früher eintreffen würde. Aber die Wege sind bei dieser Nässe wirklich fürchterlich. Nochmal im Wald übernachten mochte ich auch nicht. In der Schänke brannte schon kein Licht mehr… also bin ich hier. Verzeih. Und im Grunde genommen wollte ich noch nicht mal Deine Nachtruhe stören, sondern die Deiner Tochter Tyra, Bondvar. Ich weiß, dass sie die Außenwelt bereist. Kannst Du mir sagen, wo ich sie finden kann?“

„Immerhin bist Du nicht am Blumengitter hochgeklettert, um das zu tun“ schmunzelte der Runmerer. Als Vater mehrerer Töchter konnte er einige Geschichten zu nächtlichen Besuchen erzählen… „Ich kann Dir sagen, wohin sie sich als nächstes wenden wird. Um diese Jahreszeit bereist sie immer einen besonders eigenartigen Kontinent, der Nyland heißt. Von den Einheimischen wird er Mitraspera genannt. Du brichst morgen nach Orret auf. Dann schiffst Du Dich nach Norvykk ein und schließt Dich einer Klynge an, die dorthin reist. Ich gebe Dir ein Schriftstück mit, in dem ich die Anweisungen nochmals zusammenfasse. Dann solltest Du dorthin finden. Du musst Dich allerdings vorsehen, in der Außenwelt herrschen fürwahr merkwürdige Sitten…“

Der junge Mann nickte eifrig. „Dann erzähl mir doch ein wenig davon. Immerhin bin ich darauf angewiesen, Tyra schnell zu finden. Ich muss meine Ausbildung fortsetzen. Und Großmutter ist der Ansicht, dass ich das am besten bei ihr kann.“

Brynjar nahm einen großen Schluck aus seinem Becher und sah dem jungen Mann lange in die Augen. „Ja, ich bin mir sicher, dass sie Dir am besten helfen kann.“ sagte er dann schlicht.

 

Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann schickte Brynjar Bjorgrimm zu Bett.

Der Abschied am nächsten Morgen war kurz, aber herzlich. Er wurde mit Proviant versorgt und erhielt das versprochene Schriftstück, außerdem eine grobe Karte und eine Liste mit Orten und Namen. Ein kleines Päckchen, das er Tyra aushändigen sollte. Dann hatte die Straße ihn wieder.

 
   
 
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